Montag, 6. Februar 2006

Die Nacht. Die Unvergessene. Dritter Akt.

Dritter Akt dieses Dramas, im wörtlichsten Sinne, in dem die Dunkelheit erste Niederlagen hinnehmen muss, aber tückisch und unerwartet zurückschlägt.

Auf der Fahrt wird ihm, bedeutungsschwer, klar: es kommt tatsächlich immer Coldplay im Radio, wenn er darauf hofft - und, trivialer: er hätte nicht fahren sollen. Wirklich nicht. Bei jeder Kreuzung an der er stehen bleiben muss, schafft er es mit zitternden Beinen gerade so den Wagen beim Anfahren nicht abzuwürgen. Bei jeder Kurve umklammert er das Lenkrad mit beiden Händen. Die Knöchel werden weiß, die Kurve windet sich und der Kopf meldet keine Kopfschmerzen, aber ein schwummriges Gefühl an. Bei jedem Kind, das auf dem Gehsteig im Schnee umherspringt und bei jeder älterer Frau, die sich, gestützt auf ihren Gehstock, durch das Weiß kämpft, mischt sich zu diesem Gefühl noch pure Angst, dass diese plötzlich auf die Fahrbahn geraten und er nicht mehr rechtzeitig anhalten kann. Der Schulparkplatz ist vereist, aber es sind noch freie Parkplätze vorhanden. Wenigstens etwas. Er parkt, steigt aus, als es ihm auch schon entgegenschallt: "Dass ausgerechnet du heute da bist?!" Nette Begrüßung. Er blickt sich um, und erkennt einen wartenden Mitschüler am Ende des Parkplatzes. Noch durch die Fahrt etwas betroffen, schafft es der Anti-Held trotzdem ein munteres, optimistisches und donnerndes: "Hmmmmm???" zurück zuwerfen. "Ja, so fertig wie du heute Nacht warst", ist die prompte Erwiderung des Anderen und somit auch die erste Information, die über die Nacht verlautet wird - vielleicht auch die einzige, die er sich schon gedacht hatte. Mit bereits überzeugenderer Stimme ist der Protagonist in der Lage eine ihm bekannte Binsenweisheit auszugraben; wer saufen könne, könne auch in die Schule gehen. Bescheuert, aber ausreichend als Begründung. Darüber dass er sich nicht mehr so richtig an die letzte Nacht erinnern könne, und er deswegen hier ist, wird kein Wort veloren. Noch schnell Büchertasche und den Ordner unter den Arm geklemmt, und in die Schule gehetzt. Völlig unnötig - da gerade Pause ist. Jedoch hilfreich - da nun im Aufenthaltsraum die Geschichten der vergangenen Nacht erzählt werden. Irgendwie, ganz entgegen seiner sonstigen Art, findet er sich ausschließlich in der Rolle des Zuhörers wieder. Doch die Geschichten haben andere Hauptdarsteller, die meist noch nicht einmal anwesend sind, und so beschließt er, sich mit seinen Fragen direkt an jemanden zu wenden. Er habe weder ins Auto gekotzt, noch irgendwie sich anders schlimm verhalten, nur auf die Motorhaube sei er beim Einsteigen geschlagen, wird ihm von seinem Fahrer der letzten Nacht beschieden. "Destruktierend", diesen Neologismus, wirft ein anderer noch ein, habe er kreiert, im Zusammenhang mit "der Heimfahrt mit seinem Fahrer". Sie seien aber alle ratlos gewesen, was das bedeuten solle, und auch habe er es ihnen nicht (mehr) erklären können. Er habe leider auch keine Ahnung, was er damit gemeint hätte - seinen leichten Gedächtnisverlust hatte er inzwischen eingestanden - aber es müsse wohl etwas mit "destruktiv" zu tun haben, gibt er ihnen als Antwort. Dass er sich denken kann, wen und was genau er damit gemeint hat, behält er wohlweislich für sich. Scheinbar war er noch in der Lage die Situation treffend - zumindest für sich selbst - zu erfassen. Warum er sie allerdings auch allen anderen, verschlüsselt mitteilen musste, ist ihm unklar. "Ein paar Mal bist du beim Tanzen zu Boden gegangen", eine lächelnde Mitschülerin steht vor ihm und bestätigt damit seine Erklärung für den Fleck auf der gewechselten Hose. Plötzlich dringen die beiden anderen halb vergessen, und fast verdrängten Szenarien wieder an die Oberfläche. Ob diese auch wahr sind, war ihm unmöglich zu erfragen. Nicht, dass es vielleicht nicht jemand gewusst hätte, aber so etwas kann er ja nicht jeden fragen. Er lächelt unecht zurück. Der Gong ertönt. Pausenende. Mathe folgt. Mathe mit jener Haupt- und Nebendarstellerin.

Ein paar Minuten später sitzt er unerwartet neben ihr.

- Fortsetzung folgt -
Zum ersten Akt
Zum zweiten Akt

Der Fasching.

Es sei bald wieder Fasching, habe ich heute erfahren.

Letztes Jahr hat man mich am Tag nach meinem 18. Geburtstag genötigt, einen dieser Umzüge zu besuchen. Ich hätte kotzen können - was aber eher auf den Restalkohol der Geburtstagsfeier und die damit verbundenen Kopfschmerzen zurückzuführen ist, als auf die großen, bunten Umzugswägen mit den vielen, lustig-verkleideten Menschen - diese waren einfach nur lästig. Ihre Kostüme haben einzig und allein den Zweck möglichst viele, geräumige Taschen für möglichst viele Flaschen Hochprozentiges bereit zu stellen. Ihre Wägen sind rollende Alkohollager, aus denen die großen Hits unserer Zeit - Call On Me - im Repeatmodus aus den übertriebenen 3000 Watt Boxen schallen, die auch noch Minuten später im Schädel hallen. Menschen ganz gleich welchen Geschlechtes, Alters oder Bekanntheitsgrades fallen mir mit einem donnernden "Helau" um den Hals, um mich an ihrer überschwänglichen Freude teilhaben zu lassen - oder weil sie sich vor übermäßig genossenem Alkohol nicht mehr auf den Beinen halten können. Auf meinem Weg durch die Menschenmassen sehe ich mehrere Halbwüchsige, die sich an Häuserwände oder auf Gehsteige übergeben; es ist kurz nach 13:11 Uhr. Überforderte Eltern versuchen ihre Bälger, die Cowboy und Indianer spielen, von den Rädern der Wägen fernzuhalten und gleichzeitig mit ihren Bekannten den nächsten Prosecco zu leeren.
Alles wirkt so fröhlich aus der Ferne. Aber wenn ich den Kostümierten in die Augen sehe, blickt mir meist nur aufgesetzte Freude und Oberflächlichkeit entgegen - und eine Alkoholfahne weht im Wind und schlägt mir in die Nase.
Als mich schließlich noch ein hinkender Penner mit zerschlissenen Kleidern und verflilzten Haaren rempelt, mich dabei beschimpft und seinen billigen Sangria mit unflätigem Gefluche auf den Pflastersteinen und mich verschüttet, sehne ich mich endgültig nach Abgeschiedenheit und Ruhe - kurz bevor er zwischen dem Gewand einer besoffenen Prinzessin und dem Schild eines römischen Legionärs abtaucht, erkenne ich aus den Augenwinkeln einen funkelnden Faschingsorden, der an einer Kordel um seinen Hals hängt.
Die einzige Ausnahme, die mir an diesem Tag begegnet war. Zu wenig.

Es sei nächstes Jahr auch wieder Fasching, habe ich eben erfahren. Und Übernächstes. Und in drei Jahren... und...andere werden dort sicher ihren Spaß, wenn sie so Spaß definieren mögen, immer und immer wieder haben, solange mich niemand mit Faschingsthemen, Kostümen, Umzügen, Prunksitzungen und Rosenmontagsbällen behelligt, ist mir das völlig gleichgültig.

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